Ich räum auf mit der “christlichen Selbstverleugnung“!!!
Ich nahm vor Kurzen an einem Frauen-Online-Glaubenskurs teil (das ist ein großer Nutzen der Pandemiezeit, dass so viel Online läuft!), an dem jeweils verschiedene Glaubensthemen behandelt wurden. So ging es auch um die Thematik „Nachfolge und Selbstverleugnung“. Aufhänger war die berühmte Stelle aus Mt 16, 24 / Mk8, 34/Lk 9, 23, wo Jesus sagt:
„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach… Denn wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten.“
So wie in vielen Predigten und Gemeindelehren, die ich davor schon gehört habe, wurde dieser Vers ebenfalls in der folgenden Richtung ausgelegt:
- Es ist Gottes Wille, dass du dich selbst für andere und ihre Bedürfnisse aufgibst. Gott wird dich dafür belohnen und segnen.
- Gib deine Zeit, deine Kraft, deine Energie für andere Menschen, für die Gemeinde. Setze dich mit ehrenamtlichen Engagement ein in der Kinderarbeit und unterstütze deinen Mann in seinem geistlichen Dienst… Gib, ohne Grenzen und ohne Aufrechnung in bedingungsloser Liebe, wie Jesus es tat.
- Sei nicht egoistisch. Nimm dich selbst nicht so wichtig. Versuche nicht deine eigenen Ziele durchzudrücken.
- Nur, wenn du für andere lebst, kannst du eine gute Christin sein, wie es Jesus gefällt.
Diese Bibelstelle im Kopf und die entsprechende Auslegung brachten mich letztendlich an die Grenze eines Burnouts. Wie die Peitsche eines Antreibers schlugen sie auf mich ein. Als dreifache Mutter (mit Kinder im Alter von 1-5J.), Mutterkindgruppenleiterin in der Gemeinde, Frau eines Jugendpastors, Lehrerin (wenn auch nicht in Vollzeit), Hausfrau, Nachbarschaftskontaktpflegerin und Allroundmanagerin kamen meine eigenen Bedürfnisse vollkommen zu kurz. Die meiste Zeit, nahm ich sie noch nicht mal wahr. Ich funktionierte, versuchte zu genügen, Gott und den Menschen zu gefallen, versuchte meine Rollen perfekt auszufüllen und nach „christlicher Tugend“ mich selbst hinten anzustellen. Als Ergebnis war ich eine depressive, freudlose, erschöpfte und zutiefst unzufriedene Frau, die sich ein ganz anderes Leben wünschte. Ich hatte keine Kraft mehr zu geben, fühlte mich innerlich leer, tot. Ich hatte mich auf-geopfert.
Wollte Jesus das tatsächlich? Konnte man die Bibelstelle so verstehen? Ganz am Ende meines Selbst habe ich angefangen die „christliche Selbstverleugnungsdoktrin“ zu hinterfragen. Dabei las ich nur ein paar Zeilen weiter, wo es heißt:
„…Und welchen Nutzen hätte der Mensch, wenn er die ganze Welt gewinne und nähme doch Schaden an seiner Seele und verliere sich selbst und beschädige sich selbst?“ (Lk 9, 25)
Wie jetzt? Das sind ganz andere Töne. Liest man diesen Vers, so scheint hier eine Aufforderung zum genauen Gegenteil: Jesus betont, dass man seine Seele, sein Selbst nicht verlieren darf! Doch genau das war mir passiert, weil ich es „richtig machen“ wollte.
Folgende Verse brachten mir Heilung:
- Spr. 4, 23: „Mehr als alles andere, behüte dein Herz, denn daraus entspringt das Leben.“
- Mk 12, 31: „Liebe deinen Nächsten WIE dich selbst“ (nicht MEHR als dich selbst!)
Und wieder kommt mein Lieblingsspruch von Augustinus ins Spiel: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.“ Wenn ich jedoch selbst sprichwörtlich ausgebrannt bin, habe ich nichts mehr zu geben. Weder mir selbst, noch meiner Umgebung ist damit geholfen.
Nach dem Lesen einiger Exegesen zu Mt 16, 24 wurde mir klar: Das „Kreuz auf sich nehmen“ bezog sich zur Zeit Jesu wirklich auf den leiblichen Märtyrertod. Einige Christusanhänger hatten ihren Herrn verleugnet, aus Angst wie er gekreuzigt zu werden (z.B. Petrus). Diese Bibelstelle fordert dazu auf, klar zu Jesus zu stehen, selbst wenn das den sicheren Tod bedeutet. Sie meint aber nicht, sich für andere Menschen abzurackern, bis man erschöpft am Boden liegt!!! Ich bin immer noch im Prozess, diese Lügen aus meinem Kopf zu streichen und es mir wert zu sein, dass ich das Leben genießen darf! Dabei sind mir meine Mitmenschen ganz und gar nicht egal. Ich stehe auch gegen den selbstsüchtigen Egoismus in unserer Gesellschaft auf, wo nur Macht und Geld regieren. Ich trete ein, wenn anderen Ungerechtigkeit geschieht. Aber ich lade auch meine eigenen Akkus immer wieder auf. Ich finde heraus, was mir gut tut. Ich genieße die Kleinigkeiten des Lebens und in all dem fühle ich mich wieder glücklich, energiegeladen, voller Elan! Jetzt ist mir klar, wie es die Bibel meint: Es geht um gesunde Selbstfürsorge, welche überhaupt die Basis für christliche Nächstenliebe darstellt, nicht umgekehrt!
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